06.06.2025

Drei Monate voller Sounds in Tokio – Künstlerin Annika Kahrs im Interview zum Mercedes-Benz Art Scope Programm

Seit 1991 initiieren Mercedes-Benz Japan und die Mercedes-Benz Art Collection gemeinsam das Mercedes-Benz Art Scope Programm. Ihr Ziel? Junge, talentierte Künstlerinnen und Künstler zu fördern und den kulturellen Austausch zwischen Japan und Europa zu stärken. Im Mittelpunkt steht ein dreimonatiges Artist-in-Residence-Stipendium, das deutschen Kunstschaffenden in Tokio und japanischen Kreativen in Berlin neue Horizonte eröffnet. Die Teilnehmenden tauchen in die Kunstszene des jeweiligen Landes ein und sammeln neue Impulse und Inspirationen für ihre eigene künstlerische Arbeit. Ende 2024 hat die deutsche Künstlerin Annika Kahrs am Förderprogramm teilgenommen und fast drei Monate in der japanischen Weltmetropole verbracht. Im Interview erzählt sie uns von ihrer Kunst, ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der experimentellen Musikszene in Tokio und ihren inspirierenden Begegnungen mit lokalen Künstlerinnen und Künstlern.

Annika, du hast 2024 am Mercedes-Benz Art Scope Programm von Mercedes-Benz Japan in Zusammenarbeit mit unserer Kunstsammlung teilgenommen. Dafür hast du fast drei Monate in Tokio verbracht. Könntest du uns bitte einen kleinen Einblick geben, was du dort genau gemacht hast?

Während meines Aufenthalts in Tokio habe ich mich vor allem mit der dortigen experimentellen Musikszene beschäftigt, für die die Metropole weltweit bekannt ist. Ich war viel unterwegs in kleinen Live-Venues, habe Konzerte besucht, Leute aus der Szene kennengelernt und Interviews geführt. Fast täglich habe ich Field Recordings in der Stadt gemacht und alle möglichen Sounds aufgenommen: Musik, Melodien, kleine Jingles, wie man sie zum Beispiel an Bahnhöfen hört. Tokio besitzt einen kontinuierlichen Klangteppich, der aber nicht unbedingt aufdringlich ist – eher subtil und doch allgegenwärtig.

Außerdem habe ich begonnen, zur Figur des Tanuki zu recherchieren – ein Fabelwesen aus der japanischen Mythologie. Besonders spannend fand ich die musikalischen und akustischen Eigenschaften, die dem Tanuki zugeschrieben werden. In diesem Zusammenhang bin ich auch nach Shigaraki, nahe Kyoto, gereist, und habe mich mit Keramiker*innen getroffen, die solche Tanuki-Figuren herstellen. Ein weiterer Teil meines Stipendiums war die Zusammenarbeit mit der Tama Art University in Tokio: Ich habe dort einen Vortrag gehalten und mit den Studierenden einen experimentellen Sound-Workshop gemacht. Das war eines meiner Highlights!

Der Bahnsteig in Shigaraki, nahe Kyoto. Hier begrüßen einen die Tanuki-Figuren bereits bei der Ankunft. In der Kleinstadt sind sie überall zu finden. Foto: Annika Kahrs.

Einblick in eine Keramik-Manufaktur in Shigaraki nahe Kyoto, die Tanuki-Figuren herstellen. Foto: Annika Kahrs.

Annika Kahrs bei ihrem Vortrag vor Studierenden an der Tama Art University in Tokio. Hier referierte sie über ihre künstlerische Praxis und gab einen persönlichen Einblick in ihren Werdegang der letzten 15 Jahre. Foto: Arts Initiative Tokyo for Mercedes-Benz Art Scope Program.

Was hat dich dazu inspiriert, am Art Scope Förderprogramm bei Mercedes-Benz teilzunehmen?

Mich hat vor allem die Möglichkeit gereizt, für längere Zeit in Japan zu arbeiten und in einen echten Austausch mit Menschen, Umgebungen und verschiedenen Communities zu treten. Ich arbeite oft kollaborativ, und ein wesentlicher Teil meiner Praxis besteht darin, auf spezifische Gegebenheiten zu reagieren – viele meiner Arbeiten entstehen aus der direkten Auseinandersetzung mit einem bestimmten sozialen oder räumlichen Umfeld. Das Art Scope Programm hat genau diesen Rahmen geboten: Es hat mir die Zeit und den Raum gegeben, mich intensiv auf die neue Umgebung einzulassen und daraus neue Projekte zu entwickeln.

Erzähl uns gerne mehr über deine Kunst: Was zeichnet deine Arbeiten aus?

In meiner künstlerischen Arbeit stehen meist Sound und Musik, oder vielmehr Menschen, die Sound oder Musik produzieren, im Fokus. Meine Performances, Video- und Sound-Installationen untersuchen, welche Rolle Musik und Klang – also akustische Information – in unterschiedlichen sozialen, kulturellen und politischen Strukturen spielen. Ich begreife Musik dabei sowohl als künstlerisches Material als auch als Übersetzungswerkzeug, Kommunikationsform und Sinnbild gesellschaftlicher Systeme. Dabei ist Musik in meinen Arbeiten niemals bloße Begleitung, sondern immer ein aktiver, gleichwertiger Bestandteil zum Visuellen.

Annika Kahrs, La Banda, 2024. 4K, color, sound, 22’00’’. Courtesy of the artist and Produzentengalerie Hamburg. Für ihre Videoinstallation arbeitete Annika Kahrs mit dem generationenübergreifenden Orchester Banda Musicale di Olevano zusammen und entwickelte eine experimentelle Parade durch die Gassen und Plätze von Olevano Romano, Italien.

Annika Kahrs, Infra Voice, 2018. Three channel video and four channel sound installation, 2K, color, sound, 10’35’’. Courtesy of the artist and Produzentengalerie Hamburg. Foto: Hamburger Kunsthalle. Die raumgreifende Installation im filmischen Hochkantformat 9:16 thematisiert Fragen der Kommunikation, Übersetzung und Wahrnehmung – dabei trifft das weltweit größte Streichinstrument, der seltene Oktobass, auf Giraffen.

Welche Eindrücke hast du von Tokio und der japanischen Kunstszene gesammelt? Gab es etwas, das dich sofort fasziniert oder überrascht hat – auch in der Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern oder Institutionen?

Tokio hat viel zu bieten, wenn man sich für Kunst und Musik interessiert. Ich war beeindruckt von der Dichte an unabhängigen Veranstaltungsorten. Viele davon sind wirklich winzig – meist passen nur fünf oder zehn Leute hinein –, aber es entstehen dort spannende Dinge. Diese Orte sind absolut wichtig für musikalisch-künstlerische Experimente – also genau das, was künstlerisches Arbeiten unbedingt braucht.

Natürlich habe ich mich nicht nur in der Musikszene bewegt, sondern auch viele Museen und Galerien besucht – in Tokio, aber auch in Städten wie Kyoto oder Fukuoka. Ich habe die japanische Kunstszene als sehr lebendig, vielseitig und aktiv erlebt. Gleichzeitig wurde in Gesprächen deutlich, wie schwierig es vor allem für junge Kunstschaffende ist, in diesem Beruf zu überleben. Umso beeindruckender fand ich es, wie viele sich dennoch organisieren und eigene Veranstaltungen auf die Beine stellen. Zum Beispiel habe ich in Tokio das Benten-Festival besucht – eine Veranstaltung, die Ausstellungen, Performances, Talks und Musik verbindet. Und in Kyoto bin ich ebenfalls auf einen Ort gestoßen, der von der jungen Kunstszene organisiert wird: VOU ist eine Mischung aus Ausstellungsraum, Shop und Veranstaltungsort. Sehr gefreut habe ich mich außerdem über die Begegnung mit zwei ehemaligen Stipendiat*innen des Art Scope Programms, Tsuyoshi Hisakado und Yuriko Sasaoka, in Kyoto.

Was nimmst du aus deiner Zeit in Tokio mit – sowohl künstlerisch als auch persönlich?

Sehr viel! Sowohl persönlich als auch künstlerisch war meine Zeit dort voll von neuen Eindrücken, Kontakten und Ideen für zukünftige Arbeiten. Was mich besonders berührt hat, war die Offenheit der Menschen. Ich wurde überall mit großer Freundlichkeit, Interesse und Neugier empfangen. In vielerlei Hinsicht hat sich mein Aufenthalt in Japan angefühlt wie der Beginn von neuen Begegnungen, neuen Arbeiten – und hoffentlich vielen weiteren Reisen dorthin.

Annika Kahrs beim Sound-Workshop mit Studierenden an der Tama Art University in Tokio. Foto: Arts Initiative Tokyo for Mercedes-Benz Art Scope Program.

Du bist nun zurück in Deutschland – an was arbeitest du jetzt, nachdem du in Japan warst?

Ich arbeite gerade daran, aus dem Material, das ich in Japan gesammelt habe, ein neues künstlerisches Werk zu entwickeln. Im Fokus steht dabei weiterhin der Tanuki. Vielleicht entstehen sogar Klangskulpturen in Zusammenarbeit mit den Keramiker:innen aus Shigaraki. Außerdem möchte ich den Austausch mit der Musikszene in Tokio weiter vertiefen. Dort gibt es viel Potenzial für zukünftige Begegnungen und vielleicht gemeinsame Projekte. Und ich hoffe, bald zurückkehren zu können, um nach dieser ersten intensiven Recherchephase konkret mit der Umsetzung der Projekte zu beginnen. Mein besonderer Dank gilt dem Mercedes-Benz Art Scope Programm sowie dem wunderbaren Team der Organisation Arts Initiative Tokyo, das mich vor Ort so herzlich und engagiert begleitet hat.

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