Marcel Duchamp hat die Ausstellungspraxis zu einem wichtigen Bestandteil seines Werkes gemacht. Kuratorische Gesten und Konzepte, welche die Inszenierung seiner Arbeiten bestimmten und ihm erlaubten, sich von kanonischen Festlegungen des Künstlertypus zu entfernen; fotografische Dokumentationen und Veröffentlichungen seiner New Yorker Ateliers; Themen, Beiträge und Layoutentwürfe für Kunstmagazine; seine Tätigkeit als Berater, Juror und inszenierender Kurator für Ausstellungen im Kontext des amerikanischen Modernismus, Dada und des Surrealismus; der eminente Einfluss auf wichtige Privatsammlungen seiner Zeit – alle denkbaren Aspekte des Kuratierens, Ausstellens und Sammelns haben im Werk von Duchamp eine qualitativ neue künstlerische Dimension gewonnen. Parallel zu Duchamps dezidierter Distanzierung von gegebenen Strukturen künstlerischen Arbeitens näherte er sich so einer heute durchaus gängigen Vorstellung der kuratorischen Praxis als ästhetisches Medium. Er war, so die zugespitzte These des Symposiums und der vorliegenden Publikation, einer der ersten ›Künstler-Kuratoren‹ und hat damit die Rezeption seines eigenen Werkes und die kunsthistorischen Entwicklungen der Ausstellungspraxis entscheidend beeinflusst. Den mehrdeutigen Wahrnehmungsweisen und offenen Deutungsperspektiven seines eigenen Werkes hat Duchamp durch Inszenierung, Reproduktion und Multiplikation seiner und der Arbeit anderer eine neue konzeptuelle Richtung gegeben, mit der sich eine Wende für die zeitgenössische Kunst bestimmen lässt. Prinzipien der Ausstellungspraxis wurden nun zu entscheidenden Faktoren der Werkkonstitution.
Im Rahmen des Symposiums ist eine erste substanzielle Publikation zu diesem Thema erschienen. Acht Essays ausgewiesener Autorinnen und Autoren analysieren den Werkstatus der vielfältigen kuratorischen Gesten Duchamps und zwei renommierte Duchamp-Rechercheinstitutionen stellen sich vor.
Folgende Autorinnen und Autoren sind mit Essays in dieser Publikation vertreten:
Akiko Bernhöft
»Und immer wieder klopft Duchamp an der Tür« – Dynamiken der Duchamp-Rezeption in den 1960er und 1970er-Jahren bei John Cage und Michael Asher
Eva Fabbris
»Zum ersten Mal subsummierte ein Künstler einen ganzen Galerie-Raum in unter einer Geste.« Brian O’Doherty interpretiert Marcel Duchamp und seine surrealistischen Ausstellungen
Elena Filipovic
A Museum That Is Not
Gerhard Graulich und Kornelia Röder
Zur Geschichte des Duchamp-Forschungszentrums Schwerin
Susanne M. I. Kaufmann
Der Marcel-Duchamp-Bestand und das Archiv Serge Stauffer in der Staatsgalerie Stuttgart
Eva Kraus
André Breton, Marcel Duchamp und Friedrich Kiesler in kuratorischer Korrelation: Die Ausstellung der Surrealisten von 1947
Katharina Neuburger
Marcel Duchamp und die Société Anonyme
Gesine Tosin
»Dearest Richard …« Richard Hamilton und Marcel Duchamp
Renate Wiehager
Duchamp als Kurator und Autor für die Société Anonyme 1920 bis 1950. Autobiografie und Kunsttheorie in nuce.
Renate Wiehager
Entwurf einer Chronologie der von Marcel Duchamp kuratierten Ausstellungen und Sammlungen
Sandro Zanetti
Kunst der Indifferenz. Duchamps Sprach- und Schriftinszenierungen
Koordination & Organisation: Wiebke Hahn, Kathrin Hatesaul, Nadine Isabelle Henrich