Der taiwanesische Künstler Chen Chieh-Jen thematisiert in seinen Werken konkrete historische, biografische, emotionale, oftmals tragische oder traumatisierende Ereignisse und gesellschaftliche Erschütterungen. Chen positioniert Individuen oder ›unsichtbare‹ Bevölkerungsgruppen in seinen Arbeiten innerhalb ihres unmittelbaren Wirkungszusammenhangs und mit Bezug auf einen gesamtgesellschaftlich oder politisch lesbaren Kontext. Friend Watan-5 ist Teil einer insgesamt 6-teiligen Fotoserie, die parallel zum gleichnamigen Film entstand. Watan ist ein Familienname der Atayal, des zweitgrößten der indigenen Völker Taiwans. Der Mann steht wie angewurzelt inmitten eines zerstörten Gebäudes auf dem niedergefallenen, umgedrehten Dach, das nun den Grund eines Lichthofes mit von oben einfallender Lichtquelle bildet. Behutsam zeigt er die in seinen Händen liegenden Kleidungsstücke, als wäre dies der Überrest eines persönlichen Besitzes ohne erkennbare Herkunft. In dem wie von einem Erdbeben erschütterten Haus befinden sich brüchige Leitern mit gebrochenen Sprossen, die keinen Ausstieg aus den verlassenen Räumen (in Richtung der Helligkeit) ermöglichen. Die Dichte der theatralen, nahezu sakral wirkenden Inszenierung kann zu mehreren potentiell im Bild angelegten Auseinandersetzungen führen. Dabei entsteht durch die Details der Fotografie eine Erzählung und anhand der Beziehungen der Einzelheiten zueinander Dramatik. Watan, hier wie ein Erlöser zentral in der Bildmitte platziert, fixiert seine BetrachterInnen mit direktem Blick.