Museum of the Revolution – Guy Tillim
Von seinen fotografischen Anfängen in den 1980er-Jahren bis heute hat Guy Tillim die Fotografie in neuer Qualität interpretiert als Medium, welches die Brüche und Widersprüche zunächst Südafrikas zur Zeit der Apartheid, im weiteren post-kolonialer Gesellschaften aufzeigen und offen ausdeuten kann. Mit seiner Foto-Serie Museum of the Revolution hat Tillim 2017 den bedeutenden Preis der Henri-Cartier Bresson Foundation gewonnen. Entstanden sind die Aufnahmen der Serie in den afrikanischen Metropolen Johannesburg, Durban, Maputo, Beira, Harare, Nairobi, Kigali, Kampala, Addis Abeba, Luanda, Libreville, Accra, Dakar, Dar es Salaam. Der Titel der Serie Museum of the Revolution verweist auf das Museum gleichen Namens in Mozambique, spielt aber zugleich auf die in afrikanischen Straßen allgegenwärtigen Zeichen vergangener Revolutionen und historischer Eroberer an (in Gestalt von Monumenten, Straßennamen etc.).
Guy Tillims umfangreiches fotografisches Oeuvre gründet in der Praxis der Dokumentarfotografie. Mit seiner neuen Fotoserie hat er, als Ergebnis einer drei Jahrzehnte umspannenden künstlerischen Praxis und in Fortführung seiner etwa im Jahr 2000 begonnenen fotografischen Recherchen in den Metropolen Afrikas (›Jo‘burg‹, 2004; ›Avenue Patrice Lumumba‹, 2008; ›Libreville‹, 2012; ›Jo’burg: Points of View‹, 2014), der zeitgenössischen internationalen Fotografie einen Aspekt hinzugefügt, den es in dieser Qualität bislang nicht gab: eine genuin afrikanische Street Photography. Wir kennen die Fotos vom Leben in den Townships von herausragenden Foto-Pionieren wie David Goldblatt oder Santu Mofokeng und viele jüngere Positionen des Kontinents, die auffällige, schnappschussähnliche Szenen des Lebens in den Straßen und Armenvierteln festhalten. Guy Tillim aber geht mit seiner Fotoserie Museum of the Revolution einen anderen Weg – einen, der in die Zukunft des Kontinents weist.
Tillims Kamera wählt nicht aus, kennt keine technischen Tricks, sucht keine spektakulären oder originellen Szenerien, weitet keine Horizonte und zoomt nicht heran, definiert stattdessen die Grenzen des Bildes analog dem menschlichen Blickfeld: was wir natürlicherweise sehen können, wenn wir uns dorthin begeben würden, wo die Menschen in den Metropolen Afrikas ihre Wege gehen, ihren Geschäften nachgehen, ihren Alltag – und damit ihre Zukunft organisieren. Wie durch ein mehrfach unterteiltes Fenster, das auf Straßenniveau liegt und uns nur wenige Handbreit von den Menschen dort trennt, sehen wir in die Städte hinein. Die Weltpresse kommuniziert uns bevorzugt die negativen Seiten des schwarzen Kontinents – vielleicht eine der aktuell durchschlagendsten Formen des Rassismus. Guy Tillim zeigt uns das Afrika wachsenden Wohlstands, ökonomischer Entwicklung, verbesserter Infrastrukturen, steigender Bildungschancen – und damit verbunden ein Afrika der Hoffnung, Zuversicht und eines vorsichtigen Optimismus.
»In Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, auf der Straße namens Avenida 24 Julho (Allee des 24. Juli) gibt es eine Institution mit dem Namen Museum der Revolution. Die Straße erhielt ihren Namen direkt nachdem Lourenço Marques (wie Maputo damals genannt wurde) als die Hauptstadt der portugiesischen Kolonie gegründet wurde. Hundert Jahre später ist der Name noch immer derselbe, doch seine Bedeutung hat sich verändert. Mosambiks Unabhängigkeit von Portugal wurde im Juni 1975 verkündet; die Hauptstadt wurde in Maputo umbenannt, und jetzt ist der 24. Juli der Tag der Verstaatlichung, bei dem die Übertragung des Eigentums aller portugiesischen Immobilien und Gebäude an den Staat gefeiert wird. Es folgte ein 13 Jahre währender Bürgerkrieg, der 1990 endete. Aus der Volksrepublik Mosambik wurde die Republik Mosambik und eine neue wirtschaftliche Ära begann. Im Museum der Revolution befindet sich ein von nordkoreanischen Künstlern gemaltes Panoramabild, das die Befreiung der Hauptstadt von der portugiesischen Kolonialherrschaft darstellt. Es illustriert die Rhetorik einer Revolution und zeigt Anführer und Gefolgsleute, welche durch die von den Kolonialmächten großzügig angelegten Straßen und Avenuen ziehen. Diese Straßen, benannt und umbenannt, fungieren als stille Zeugen der Ebbe und Flut politischer, wirtschaftlicher und sozialer Machtverschiebungen und werden zu einem Museum der vielen Revolutionen, die in den vergangenen 65 Jahren in afrikanischen Ländern stattgefunden haben. Meine Fotografien entstanden auf langen Spaziergängen durch die Straßen afrikanischer Hauptstädte. Als ich in den 1980er-Jahren zu fotografieren begann, spiegelten diese die wirtschaftliche Stagnation der sozialistischen Politik wider, die den afrikanischen Nationalismus normalerweise begleitete. Sie spiegeln heute eine andere Realität wieder, Wiederaufbau und Unternehmung, und neue Bestrebungen, die von kapitalistischen Werten durchdrungen sind.«[1]
Text: Renate Wiehager, 2018
[1] Guy Tillim, Museum of the Revolution, Ausst. Kat. Stevenson Kapstadt 2017, o. S.