Sylvan Lionni betreibt Malerei als eine Art mimetisches Readymade-Verfahren. Der Künstler vermeidet klassische malerische Entscheidungen im Sinne willkürlicher Findungen von Farbe und Komposition und wendet sich stattdessen den graphischen und semantischen Oberflächen seiner unmittelbaren Umgebung zu: Lotterie, Baseball, Supermarkt, Sticker, Tapeten, Teppiche, Straßenzeichen und Alltagssymbole. Die Vorlagen werden in den Computer eingespeist und mit Hilfe von Grafikprogrammen in Ausschnitt und perspektivischer Ansicht verändert, in einem nächsten Schritt dann mit Hilfe zahlloser Malschichten und mit altmeisterlicher Langsamkeit auf fein strukturierten Grund übertragen. So entstehen nur wenige Bilder pro Jahr. Die 10teilige Bildserie Kaddish bezieht sich mit dem Titel auf eines der wichtigsten Gebete im Judentum, eine über Jahrhunderte entwickelte und abgewandelte Lobpreisung Gottes. Nach einigen Angaben soll das Kaddish zehn Mal am Tag rezitiert werden und zehn erwachsene Juden müssen anwesend sein. Ist Lionnis Bildserie einerseits lesbar als ein Denkmal für die Auslöschung des Judentums im 20. Jahrhundert, so ist sie andererseits formal eine Hommage an deutsche abstrakte Maler der 1960er/70er Jahre wie Imi Knoebel und Blinky Palermo.