Cao Feis facettenreiche Multimedia-Kunst beruht auf genauer Beobachtung sowie einer kritischen und wissbegierigen Geisteshaltung gegenüber ihrem unmittelbaren Umfeld. Eines ihrer wiederkehrenden Themen ist die Stadt und das Zusammenleben in urbanen Räumen: Von 2007 bis 2010 schuf Cao Fei eine komplexe virtuelle Stadt – RMB City – im Reich von Second Life, 2013, entstand Haze and Fog, eine neue Art Zombiefilm, der im modernen China spielt. 2014 hat sie einen weiteren Film über eine mythische postapokalyptische Metropole mit dem Namen La Town abgeschlossen. Diese Projekte stehen nicht nur im Zusammenhang mit Cao Feis kritischer wie empathischer Sicht menschlicher Grundverfassungen, sondern auch mit einem konzeptionellen Wechsel der Perspektive – ein Zoom von Virtualität zur Nahaufnahme Pekings im 21. Jahrhundert und zurück zu einer imaginären Sci-Fi-Sicht.
Cao Fei stellt uns als BetrachterInnen des Videos La Town mitten hinein in die Bilder einer erahnten, sich ankündigenden, jüngst vergangenen oder drohenden – wir wissen es nicht? – Katastrophe. Die Kamerafahrt durch die nachtschwarzen Straßen von La Town zeigt im ersten Teil Anzeichen von Zerstörung, aber die Menschenfiguren scheinen davon noch unberührt. Im zweiten Teil des Videos dann: Tag, Licht, ein Spielplatz, Brunnenfiguren, ein Jahrmarkt. Auch im dritten Teil, einem Kameraschwenk durch urbane Apartments – eine Referenz an Haze and Fog – herrscht so etwas wie gelebte Normalität des Alltags. Erst im vierten Teil ist die Szene beherrscht von apokalyptischer Untergangsstimmung: Protestierende, Verletzte, Feuer, Sirenen. Die heile Welt der ModelleisenbahnerInnen nimmt Cao Fei als Bild für eine menschliche Gemeinschaft, eine ›Weltgemeinschaft‹ – enggeführt im miniaturisierten Maßstab von La Town – die glückhaftes Zusammenleben nur als Verheißung, als Unterbrechung erlebt im unerbittlich ablaufenden Strom einer gewalttätigen, zerstörerischen Geschichte. Ihr Modell übersetzt zwei andere künstlerische, geistesverwandte Modelle – die literarisch-filmische Reflexionskunst von Duras/Resnais, die utopischen Modellstädte Italo Calvinos – aus dem Europa des 20. Jahrhunderts in die Gegenwart globalisierter Erfahrung. Die im wirklichen Leben häufig fehlschlagende Suche nach Authentizität, Erinnerung als Sinnstiftung, Tragfähigkeit politischer und gesellschaftlicher Utopien findet ihr Bild, ihren temporären Ort im ›Night Museum‹, welches Cao Fei uns als Schlusssequenz besuchen lässt. Bedenkt man, dass die chinesische Politik die abgründigen Lebensängste der Menschen, die zu hunderttausenden in den Fabriken der Millionenstädte arbeiten, mit der Wucht tausender neu gebauter Museen zu kompensieren versucht – dann bleibt durchaus offen, ob Cao Feis Schlussbild als Utopie oder Trauma gelesen werden will.